Die Ötztaler Alpen

Auf Traumpfaden in den Ötztalern

Eine Hüttentour in den Ötztaler Alpen

30.08.2010: Vent – Martin-Busch-Hütte

Wir haben wieder lange mit den Füßen gescharrt, bis es gestern, am 29. August 2010, endlich soweit war: Treffpunkt in der familiären und gemütlichen Pension „Reinstadler“ in Vent. Von hier aus soll es heute früh auf die Traumpfade der Ötztaler gehen, die Gila und Armin für uns ausgearbeitet haben. Um es vorweg zu nehmen, diesmal ist ein wenig Flexibilität gefordert, denn das Wetter lässt uns in den Kalender schauen, ob es sich hier wirklich um unseren Sommerurlaub handelt. Wir starten unsere Tour zu Viert. Gila, Annette, Dagmar und ich. Damit sind wir für heute vollzählig, denn Wolfgang wird erst morgen auf der Martin-Busch-Hütte zu uns stoßen. Ach ja - in diesem Jahr starten wir eher als ein „Grüppchen“ denn als Gruppe.
Der Start unseres gemeinsamen Gehens war eigentlich etwas früher geplant, aber wer mag schon bei Regen und Schnee eine Tour beginnen? Außerdem ist das Frühstücksbuffet in der Pension ausgezeichnet und warm und trocken ist es jetzt auch. Somit wird es 10.15 Uhr als wir vom Parkplatz aus unseren ersten Aufstieg aus dem Tal von 1.896 m zur Martin-Busch-Hütte beginnen. Es ist kaum zu glauben, aber pünktlich zum Tourenbeginn erscheint die Sonne.
Die 9 Kilometer auf dem Fahrweg legen wir gemütlich in fast drei Stunden zurück. Eigentlich ist es auch gar nicht schlecht, dass diese erste Etappe so einfach verläuft, so können wir uns ganz in Ruhe an das Gewicht der Rucksäcke gewöhnen. Die Rucksäcke mit der Gletscherausrüstung sind auf dem Rücken überdeutlich zu spüren. Der Blick ins Niedertal ist schon schön, gerade auch durch den frischen Puderzucker auf den Bergspitzen. Wir gehen praktisch immer parallel zu im Talgrund fließenden Niederjoch-Bach. Vorbei geht es an einer Schäferhütte über die wir vor einiger Zeit einen Fernsehbericht gesehen haben. In diesem Beitrag ging es um die jährliche Wanderung der Südtiroler Schafe aus dem Schnalstal hinüber in das Ötztal. Auf der rechten Seite des Weges passieren wir kleine Wasserfälle, die von oberhalb liegenden Schneefeldern gespeist werden.
Und da vorne, ist das schon der Similaun? Freundlich und weiß steht er dort in der Sonne und scheint eine Einladung auszusprechen. Gegen 13:00 Uhr erreichen wir die Martin Busch-Hütte. Nach Bewältigung der ersten 600 Höhenmeter sind wir froh, die Rucksäcke abzulegen. Wegen des für die Gletscherquerungen mitgenommen Seiles wiegt meiner um die 18 Kilo.
Nach einer kurzen Pause auf der Martin-Busch-Hütte mit dem Bezug der Lager brechen wir dann gegen 14.00 Uhr noch einmal, jetzt leichtfüßiger, da ohne Rucksack, auf. Nur mal sehen, wie weit wir kommen in Richtung Kreuzspitze. Diesen Gipfel haben wir für heute Nachmittag geplant, aber die Zeit ist ja schon recht fortgeschritten. Ohne die Last auf dem Rücken, kommen wir, ohne dass wir es merken, gut und schnell voran.
Inzwischen ist es recht kalt geworden, von Sonne keine Spur mehr. Der Wind pfeift, aber jetzt wollen wir noch die 3.000er Marke knacken.
Der Gipfel der Kreutzspitze wird auch ohne unseren Besuch bestehen bleiben, darüber sind wir uns einig, denn obwohl die Zeit tatsächlich reichen würde - wir haben einfach nicht genug an.
Ein kleiner Steinmännchengarten tut sich vor uns auf. 3.032 Meter sind wir hoch, der Gipfel scheint gar nicht mehr so weit. Aber hier kehren wir endgültig um, denn es ist uns einfach zu kalt.
Der einsetzende Schneefall lässt uns nun schnellen Schrittes zurück zur Hütte eilen auf der inzwischen auch Wolfgang angekommen ist. Damit ist jetzt unsere Truppe für die nächsten Tage komplett. Der graue Himmel, den wir beim Betreten der Hütte zurücklassen, verheißt nichts Gutes.

Dienstag, 31.08.2010

„Alles ist weiß“, berichtet Gila schon beim Aufstehen. Sie hat schon nachts einen Blick nach draußen geworfen. Und wie weiß: ca. 35 cm Neuschnee hat es über Nacht gegeben. Für heute haben wir zunächst den Übergang zur Similaunhütte auf 3.019 Metern geplant, von dort aus die Besteigung des Similaun. Aber es schneit immer noch. Der Wind jagt die Flocken regelrecht über das Land. Die Markierungen sind nicht mehr zu sehen.
Als Annette hört, dass eine Gruppe von sieben Holländern mit Bergführer den gleichen Weg einschlagen will, entscheiden wir uns schnell, dieser das Spuren zu überlassen. Die Gruppe wählt den „Winterweg“ am Niederjoch-Bach entlang. Wir starten gegen 8.45 Uhr. Von der Landschaft um uns herum sehen wir nicht viel. Schneetreiben, viel Weiß unter uns, vor uns und hinter uns. Es gibt Momente, in denen die Spur der vor uns gehenden Gruppe nicht einmal mehr zu erkennen ist, weil der Wind den Schnee stellenweise davon geblasen hat. Wir sind sehr dankbar für die Tatsache, den Wind im Rücken zu haben. Die wenigen Entgegenkommenden sind noch deutlich vermummter als wir, die Kapuzen komplett dicht gezogen, teilweise mit Sturmhaube.
Im Verlauf des weiteren Weges, langsam nähern wir uns dem Niederjochferner, verlieren wir dann die Spur aber nicht mehr, hier hat der Schnee inzwischen eine Höhe von etwa einem halben Meter und die Schneise, die die Gruppe vor uns hinein gearbeitet hat, ist unübersehbar. Wir gewinnen jetzt an Höhe, bislang verlief der Weg ohne große Höhenunterschiede. Die Spur führt den Gletscher hinauf und nach einiger Zeit strebt sie auf  einen Einstieg in die Felsen zu, der auch gekennzeichnet ist. Von hier ist es nicht mehr so weit bis zur Hütte.
Dort angekommen hängen wir erst einmal unsere Sachen zum Trocknen auf. Der Trockenraum wird gebildet vom Vorraum der Hütte. Es ist 11.15 Uhr. Normal ist der Weg mit ca. 2 Stunden angegeben. Wir haben bestimmt nicht getrödelt, dieser Tag zeigt uns aber, wie schnell ein einfacher Weg durch die Bedingungen einen ganz anderen Charakter bekommt.
Am Nachmittag hört es zwar auf zu schneien, aber der Wind weht noch immer sehr stark. Bei diesen Bedingungen verbietet sich die Besteigung des Similauns von selbst.
Ziemlich schnell ändern wir unsere Pläne für die nächsten zwei Tage. Den nächsten Hüttenübergang zur Bella Vista werden wir um einen Tag verschieben, um morgen hoffentlich den Similaun besteigen zu können.

Mittwoch, 1.09.2010

Nach der letzten Nacht in der Similaunhütte haben wir heute wieder Wetter, nämlich Traumwetter. Allerdings bläst der Nordföhn ziemlich stark und es hat am Vortag und in der Nacht ca. 40 bis 50 cm Neuschnee gegeben. Heute möchten wir nun endlich den Similaun mit seinen 3.606 Höhenmetern besteigen und gleich nach dem Frühstück legen wir  unsere Gletscherausrüstung an. Die Steigeisen können wir bei dieser Schneeauflage getrost im Rucksack lassen. Wir beobachten die vor uns aufgebrochenen Seilschaften und überlegen, an welcher Stelle wir von den Felsen auf den Gletscher überwechseln.
In den zumindest psychologisch wärmenden Sonnenstrahlen machen nun auch wir uns auf den Weg. Nach der Überquerung eines verschneiten Geröllfelds packen wir unser Seil aus und binden uns zu einer Seilschaft ein. Steigeisen werden wir bei dieser Schneeauflage nicht benötigen. Vor uns haben sich schon zwei Seilschaften an den Aufstieg über den Gletscher auf den Weg gemacht und so können wir der deutlichen Spur über den Gletscher folgen.
Trotz der für uns präparierten Spur ist der Aufstieg aufgrund der Schneeauflage recht kraftraubend. Die Anstrengung wird jedoch von der atemberaubenden Aussicht auf die uns umgebenden Berge mehr als belohnt. Der blaue Himmel, die weißen Berge – Herz, was willst du mehr. Wir bewegen uns am rechten Rand vom Niederjochferner ca. zwei Stunden hinauf und betreten dann den felsigen Westgrat des Similaun.
Nach einer weiteren Stunde über Felsen und Firnfelder stehen wir dann um 12 Uhr am Gipfel in 3.606 m Höhe. Die Luft ist ganz klar und die Aussicht ist gewaltig. Es gibt eine ausgiebige Mittagspause und in alle Himmelsrichtungen werden Fotos gemacht. Nach einer guten Stunde machen wir uns wieder an den Abstieg hinab zur Similaunhütte. Zum Glück haben wir uns hier gestern rechtzeitig für eine weitere Nacht angemeldet, denn sie ist erheblich voller als gestern. So können wir im gleichen Zimmer schlafen wie in der Nacht zuvor.
Nach der Rückkehr zur Hütte machen Annette, Dagmar und ich uns noch einmal auf den Weg und erkunden den für morgen geplanten Weg zur Fundstelle des Mannes vom Similaun.

Donnerstag, 02.09.10

Wieder haben wir traumhaftes Wetter. Um 8:35 Uhr starten wir unsere Tour zur Schönen Aussicht. Wie wir schon auf unserer Erkundungstour am Vortag festgestellt haben, ist der Weg aufgrund der Schneefälle von vor zwei Tagen an einigen Stellen schwierig zu passieren. Tiefe Schneerinnen sind zu überwinden. Direkt hinter der Hütte verläuft der Weg zur sogenannten „Ötzifundstelle“. Am 19. September 1991 wurde die Mumie beim Tisenjoch, nahe dem Hauslabjoch in den Ötztaler Alpen oberhalb des Niederjochferners in 3210 m Höhe gefunden.
Die Fundstelle ist eine Gletscher-Querrinne. Der dortige Gletscher glitt über 5300 Jahre über diese Querrinne hinweg, sodass die Fundobjekte dort die Zeit relativ unbeschadet überstehen konnten. Erst mit dem Rückzug des Gletschers wurde die Fundstelle frei. Die Entdeckung Ötzis war eine Sensation, da der Mann aus dem Eis die einzige erhaltene und auf natürlichem Wege konservierte Leiche aus der Zeit um 3400 v. Chr. in Mitteleuropa ist. Seit März 1998 ist Ötzi im Südtiroler Archäologiemuseum in Bozen ausgestellt. Für die Präsentation mussten vollkommen neue Kühltechniken entwickelt werden. Da der Mann aus dem Eis in der Grenzregion zwischen Nord- und Südtirol und damit zwischen Österreich und Italien gefunden wurde, erhoben beide Staaten zunächst Anspruch auf den Fund. Ursache ist die 1918 vereinbarte Definition der Grenze, die zwischen den Grenzsteinen geradlinig verlief. Obwohl sich der Fundort nördlich der Wasserscheide befindet, liegt er nach dieser Grenzziehung auf italienischem Staatsgebiet. Seit 2006 ist zwar ein neuer Staatsvertrag zwischen Österreich und Italien in Kraft, in der die Wasserscheide als Grenzverlauf bestätigt wird. Da aber für das Tisenjoch eine Ausnahme definiert wurde, liegt die Fundstelle weiterhin in Südtirol.
Nach einer guten Stunde erreichen wir eine kleine Ebene mit der Gedenkstätte für den Mann aus dem Eis. Eine vier Meter hohe Steinpyramide markiert den Fundbereich der Gletschermumie. Zunächst überlegen wir noch, die Fineilspitze zu besteigen und gehen deshalb oberhalb des Hauslabjochs auf den Grat. Da der Blick auf den Hochjochferner allerdings unsere weitere Route zur Bella Vista nicht erkennen lässt, entscheiden wir, um keinen Zeitdruck zu bekommen, die Fineilspitze auszulassen und über die Felsen zum Hauslabjoch hinabzusteigen
Am Gletscher legen wir nun unsere Gletscherausrüstung und binden uns zu einer Seilschaft ein. Von nun an müssen wir uns den Weg selber suchen, denn eine Wegführung ist nicht ersichtlich. So ziehen wir unsere erste eigene Spur auf dem schneebedeckten Gletscher!
Schon bald haben wir die den ersten Felsrücken erreicht. Hier müssen wir eine steile Rinne hinunterklettern, was durch den Schnee nicht so ganz leicht ist. Wolfgang hat das Gelände zunächst einmal erkundet, bevor wir anderen folgen. Auf dem zweiten Gletscherabschnitt queren wir zwischen zwei Spaltenzonen hindurch zum nächsten Felsrücken, auf dem uns ein großer Steinmann die Richtung zeigt.
Hier gönnen wir uns erst einmal eine ausgiebige Pause und genießen das schöne Wetter und das Panorama. Zu diesem Zeitpunkt wissen wir noch nicht, was uns schon bald erwartet. Wir sehen zwar schon schnell die weitere Wegmarkierung, doch der Weg selbst ist nicht auszumachen. Der Einstieg in die Kletterzone ist völlig mit Schnee überwächtet, Steighilfen sind in der steilen Abstiegsroute nicht zu erkennen.
Gut, dass wir alle alpintechnische Erfahrung haben. Mittels Seilsicherung an einem großen Stein „prusiken“ wir uns, nachdem Wolfgang zuvor das Gelände erkundet hat, nach und nach bis zur vorhandenen Drahtseilversicherung ab. Entlang diverser Drahtseilversicherungen folgen wir dem Weg weiter hinab. Jetzt wissen wir, warum die Route den Schwierigkeitsgrad II trägt.
Zuletzt geht’s weglos in direkter Linie über ein verschneites Geröllfeld hinunter. Wir müssen noch zwei weitere Gletscherabschnitte queren, bevor wir die Spur der Pistenraupen vom Skigebiet erreichen. Der letzte Aufstieg zur Schönen Aussicht verläuft über die schlammverschmierte Straße der Baufahrzeuge - welch ein Kontrast zur unberührten Schneelandschaft. Hier stellt sich uns die Frage, wie die Bella Vista oder auf Deutsch, die Schöne Aussicht, zu ihrem Namen gekommen ist. Trotzdem sind wir aber alle froh nach 9 Stunden die Hütte erreicht zu haben. Es war ein langer und sehr interessanter Tag.
Am frühen Abend stößt Hubert Wegmann, unser Bergführer für die nächsten drei Tage zu uns. Hubert ist Bergführer der Alpinschule Sulden und ist uns schon aus dem letzten Jahr bekannt. In 2009 hat er uns im Martelltal auf den Cevedale geführt.
Mit Hubert besprechen wir die Tour für morgen. Die Weißkugel wird, abweichend von unserer ursprünglichen Planung, von uns aus dem Programm gestrichen. Wir beschließen, auf das Teufelsegg aufzusteigen und vom Steinschlagjoch über den Hintereisferner zum Hochjochhospitz zu gehen.
Wolfgang legt einen Ruhetag ein und will den direkten, bequemeren Weg zur Hütte nehmen.

Freitag, 03.09.2010

Als heute Morgen meine Uhr um 4:45 Uhr das Signal zum Ecken gibt, gibt es nur einen, der sich darüber köstlich amüsiert. Wolfgang - er liegt in unserem Bettenlager und findet es urkomisch als wir Anderen uns aus den Betten aufmachen. Wie schon gestern angekündigt will er heute gemütlich von der Bella Vista zum Hochjochhospiz auf der Normalroute wandern. Unsere Besprechung am Vorabend mit Hubert hatte ergeben, dass wir die Weißkugel auslassen. Abweichend von der Planung wollen wir von der Bella Vista zum Teufelsegg zu gehen und von dort weiter zum Steinschlagjoch. Von hier aus wollen wir gemächlich den Hintereisferner hinunter Richtung Hochjochhospiz schlendern. Auch wenn wir die Weißkugel nicht besteigen werden, so wollen wir lieber früh auf dem Gletscher sein.
Frühstück gibt es ab 5.00 Uhr und eine Stunde später verlassen wir die Bella Vista bei 3 Grad Celsius. Aber immerhin Plus. Mit “Mal sehen, ob der Teufel noch schläft, sonst wecken wir ihn“, beginnt Hubert die Tour. Das Teufelsegg liegt auf 3.227 m Höhe. Aber die zu bewältigenden Höhenmeter sind ein paar mehr als die Differenz zur Hütte, führt doch der Weg erst ca. 100 Meter hinab, bevor er dann ansteigt.
Wir gönnen uns die Muße, einen Blick auf unseren gestrigen Wegverlauf zu werfen, den man sehr gut ausmachen kann. In der Ferne können wir sogar die Dolomiten sehen. Ob der nahen Blicke auf das Skigebiet hier sind wir nochmals froh über unsere Entscheidung, zwei Tage auf der Similaun Hütte geblieben zu sein und so der Similaunbesteigung den Vorzug vor weiteren Unternehmungen in diesem Umfeld gegeben zu haben.
Als wir nach ca. 2 Stunden auf dem Teufelsegg stehen, hat es inzwischen Minusgrade und es graupelt. Gemütlich ist es hier nicht und so setzen wir schon bald unseren Weg in Richtung Steinschlagjoch auf 3.238 Metern fort. Nach kurzer Zeit erreichen wir den langen Hintereisferner und seilen uns auf dem Gletscher an. Hubert legt die Spur im unberührten Weiß. Auch heute können wir wegen der Schneeauflage auf die Steigeisen verzichten, allerdings fühlt sich der Schnee deutlich harschiger an als die letzten Tage. Nach ca. einer halben Stunde Gehens auf dem Gletscher, machen wir eine kurze Pause. Hubert hört die Langtauferer Spitze rufen, aber unsere Ohren sind zunächst taub.
Weiter geht’s. Die zunächst neutral erscheinende Frage von Gila „Hubert, wie hoch ist die Langtauferer Spitze“ führt zu einer Wende an diesem geplant ruhigeren Tag. Plötzlich sind 3.529 Höhenmeter das Ziel. Und so führt uns Hubert nicht den Hintereisferner hinaus, sondern wir schlagen den Weg nach Norden ein, den breiten Gipfel der Langtauferer Spitze mit seinen steilen Gletscherflanken vor Augen.
Eigentlich sieht er auch recht nah aus. So ungefähr zwei 2 Stunden Weg erzählt uns Hubert. Aber dass es sich hierbei um eine optische Täuschung handelt, wird uns Vieren wohl bewusst, als wir uns ihm nordwestlich ansteigend über den steilen Hang in einer langen Kehre und in Serpentinen nähern. Inzwischen hat sich die Sonne wieder durchgesetzt. Stapfen, stapfen, stapfen. Der Gipfel erscheint schon fast zum Greifen nah, als Hubert eine Pause einlegt. Noch 200 Meter bis zum Ziel, so Hubert. Warum wir noch einmal Kraft schöpfen sollen wird uns klar, als wir nach einer weiteren Kurve auf dem Schneegrat zum Gipfel stehen. Ein wunderschöner Anblick! Aber noch liegt hinter dem Schnee eine Kletterei auf dem Grat und über einen letzten Felsaufbau auf dem Gipfel vor uns, die uns vom Kreuz trennt.
Schließlich stehen wir mittags am Gipfelkreuz und verweilen dort, am Seil gesichert, eine halbe Stunde. Im Sonnenschein genießen wir die Ausblicke. Der Gipfel der Weißkugel, etwas südwestlich und ca. 200 Meter höher, liegt den ganzen Tag in Wolken. Nun geht es auf der Aufstiegsroute wieder zum Hintereisferner hinab.
Zurück geht es schneller, in ca. einer Stunde sind wir wieder am „Punkt unserer Entscheidung“.
Es ist ein langer Weg über den Hintereisferner hinaus aus dem Tal, von etwa 3.100 Höhenmetern bis hinab zu 2.450 Metern bei sanftem Gefälle. Das stundenlange Konzentrieren auf das Seil und die Spuren vor einem ist anstrengend. Ebenso wie das lange Gehen in einem fremden Rhythmus sowie der nicht eigenen Schrittlänge. Als wir nach vielen Stunden wieder Fels und Steine unter den Füßen haben, werfen wir einen Blick zurück auf unsere Abstiegsspur. Sie sieht aus der Ferne aus, als hätten wir reichlich Gipfelschnaps genossen. Was man nicht sieht, ist das Umgehen von Spalten und Löchern. Mit dem Entdecken der ersten Markierungen haben wir das Gefühl, der Zivilisation wieder näher zu sein, aber es ist schon noch ein Stückchen zur Hütte.
Im Verlauf des Weges, der ohne größeres Auf und Ab verläuft, können wir sehen, von wo Wolfgang zur Hütte aufgestiegen ist. Die Brücke über die Rofenache ist deutlich zu erkennen. Nach ca. 3 Kilometern stehen wir dann doch ziemlich plötzlich vor dem Hochjochhospiz auf 2413 Metern, froh es nach über 10 Stunden erreicht zu haben. Dass ein „ruhiger Tag“ so einen Verlauf nehmen würde, damit haben wir heute Morgen nicht gerechnet.
Wie schön, dass wir den ursprünglichen Plan verlassen haben, denn trotz der Anstrengung war es ein wunderbarer und aufregender Tag, der uns wohl allen gut in Erinnerung bleiben wird. Die Weißkugel wird sicherlich von keinem von uns vermisst.

 

Samstag 4.9.2010; Fluchtkogel und Guslar-Joch

Heute gibt es um 6 Uhr Frühstück. Wir wollen uns wieder früh auf den Weg machen, da das Wetter nicht allzu gut vorhergesagt wird. Wir möchten am heutigen Tag die Vernagthütte über den Fluchtkogel und das Guslar-Joch erreichen. Heute hat Gila sich für einen Ruhetag entschieden. Sie wird über das Tal hinaus auf einem einfachen Wanderweg die Vernagthütte erwandern.
Wir anderen gewinnen gleich hinter der Hütte im noch schwachen Tageslicht rasch an Höhe. Vorbei an weidenden Schafen schlagen wir den Delorette Weg in ein Seitental in Richtung Kesselwandferner ein und schon nach kurzer Zeit zwingt uns der beginnende Schneefall, die Regenjacken anzuziehen. Es zieht ordentlich zu und auch die Temperaturen wollen nicht so recht ansteigen. Am Bergrand streben wir oft in leichter Kletterei dem Gletscher entgegen. Hin und wieder öffnet sich die Wolkendecke, so dass auch ein paar Ausblicke auf die uns umgebende Bergwelt möglich sind.
Am Fuße des Kesselwandferners legen wir die Steigeisen an und binden uns in die Seilschaft ein. Gemeinsam mit einer zweiten Seilschaft teilen wir uns die Spurarbeit die bei diesen Wetter- und Schneeverhältnissen wirklich beschwerlich ist. Bei fast jedem Schritt brechen wir ca. 10 cm durch die Eiskruste durch. Hinzu kommt noch der frontal angreifende eisige Wind mit dem einhergehenden Schneetreiben.
In der Ferne können wir das Brandenburger Haus auf 3.277 Metern Höhe erblicken, das die höchstgelegene Schutzhütte des Deutschen Alpenvereins ist. Das Brandenburger Haus liegt auf einer Felsinsel zwischen Kesselwand- und Gepatschferner und alle Zustiege führen durch hochalpines Gelände und erfordern die Begehung von spaltenreichen Gletschern. Entsprechende Erfahrung und Ausrüstung sind erforderlich.
Gegen 10:15 Uhr erreichen wir bei diesen widrigen Verhältnissen das Gipfelkreuz des Fluchtkogels auf 3.500 Metern Höhe. Plötzlich taucht es aus dem Nebel auf. Das hat jetzt gar nicht mehr lange gedauert. Nach kurzem Aufenthalt – gemütlich ist auch wirklich nicht – folgen wir der anderen Seilschaft zum Guslar-Joch.
Nacheinander durchqueren wir das Joch. Auf der anderen Seite geht es recht steil hinunter, aber aufgrund der frischen Schneeauflage besteht auch keine ausgeprägte Gefahr des Ausrutschens. Sicher folgen wir mit Steigeisen an den Stiefeln der zweiten Seilschaft.  Auf den Guslarferner.
Die Wolkendecke hat sich etwas gehoben und wir haben plötzlich etwas Sicht und eine Andeutung von nebligem Sonnenschein. Auf der Seitenmoräne des Guslarferners kommt uns Gila entgegen, die schon unsere Lager auf der Vernagthütte in Augenschein genommen hat.
Die Vernagthütte, auch Würzburger Haus genannt, ist eine Alpenvereinshütte der Sektion Würzburg des Deutschen Alpenvereins. Die Hütte wurde 1901 erbaut und in den Jahren 1932, 1976 und 1984 erweitert. Gegen 12:15 Uhr erreichen wir die Vernagthütte auf 2.766 Metern Höhe. Bei einer Runde Cappuccino und Apfelstrudel, genießen wir zufrieden den Rückblick auf die Tour des Tages.

5.9.2010: Vernagthütte – Wildspitze – Breslauer Hütte

Am heutigen Tag heißt es wieder früh aufstehen. Um 5:30 Uhr ist Wecken und um 6:15 Uhr starten wir zu unserer Tour über den Vernagtferner hinauf zur Wildspitze. Stand ich noch im Alter von 12 Jahren in einem Urlaub mit meinen Eltern zweifelnd, ob ich jemals auf diesen Berg steigen könne, im Pitztal am Fuß des Berges, so gehe ich heute nach 2003 schon zum zweiten Mal der Wildspitze entgegen.
In der beginnenden Dämmerung steigen wir über leichtes Geröll dem Vernagtferner entgegen. Wir folgen anfangs einer fünfköpfigen Gruppe die ein paar Minuten vor uns aufgebrochen ist. Schöne Farbspiele des beginnenden Tages begleiten uns auf unserem Weg. Auf etwa 2.900 m wechseln wir die Talseite und steigen zunächst 100 m steil ab, bevor wir die Steilstufe unterhalb des Schwarzkögele erreichen. Über eine Seitenmoräne und über einige Schneefelder gelangen wir an ein zum Teil gefrorenes Bachbett, das geschickt gequert werden muss.
Im beginnenden Tageslicht werden nun am Fuße des Gletschers die Steigeisen angelegt. Den Klettergurt haben wir schon an der Hütte angezogen. So sparen wir im Rucksack etwas Gewicht. Der Vernagtgletscher bildet hier eine herrliche Gletscherzunge, die anfangs recht steil ist, aber dann sehr schnell in das relativ flache riesige Plateau des Großen Vernagtferners übergeht.
In Seilschaft begehen wir nun den Gletscher. Der Schnee ist an der Oberfläche noch gefroren, so dass wir nahezu bei jedem Schritt durch die dünne Eiskruste brechen und erst nach 10 cm wieder richtigen Halt haben. Eine sehr anstrengende Angelegenheit. Es folgen drei Kilometer traumhafte Gletscherwanderung bis zum Brochkogeljoch in einer Höhe von 3423 m. Auf dem Gletscher erblicken wir am Himmel wunderschöne Sonnenhalos. Halos oder Halogone sind ein Sammelbegriff für Lichteffekte der atmosphärischen Optik, die durch Reflexion und Brechung von Licht an Eiskristallen entstehen.
Je nach Größe und Orientierung der Eiskristalle sowie dem Winkel, unter dem Licht auf die Kristalle trifft, entstehen an verschiedenen Stellen des Himmels teils weißliche, teils farbige Kreise, Bögen, Säulen oder Lichtflecken.
Das Sonnenlicht wird beim Eindringen in solche Eiskristalle gebrochen, und tritt in Abhängigkeit von der Orientierung der Kristalle und dem Einfallswinkel des Lichts nach (mehrfacher) Reflexion im Inneren der Kristalle wieder aus. Beim Austritt wird es ein weiteres Mal gebrochen. Die Lichtbrechung ist dabei für die sichtbare Aufspaltung der Farben des Lichts verantwortlich. Die direkte Spiegelung des Lichts an den äußeren Kristallflächen spielt bei Haloerscheinungen eine untergeordnete Rolle.
Je näher wir dem Brochkogeljoch kommen, umso steiler wird es. Oben am Joch auf 3.423 Metern zweigt der Weg nun flach in Richtung Osten. Auch hier tut sich wieder ein riesiger Gletscher auf: der Taschachferner! Vorbei geht es am Hinteren Brochkogel. Von hier können wir schon die Wildspitze, unser Ziel, erblicken. Auf dem Weg über den Taschachferner können wir schon einige Seilschaften vor uns auf dem Weg sehen. Hoffentlich wird es am Gipfel nicht zu überlaufen.
Die ersten Seilschaften kommen uns schon entgegen. Lachend weisen einige darauf hin, dass wir oben unsere Wetterjacken benötigen würden, da es am Gipfelgrat ziemlich zugig hergehen solle. Am Fuß des letzten Aufschwungs zum Gipfel entdecken wir ein Biwakzelt auf dem Gletscher. Wir sind uns einig - bei diesen Temperaturen möchten wir hier oben nicht übernachten.
Tatsächlich, als wir am Grat ankommen, nimmt der Wind so stark zu, dass Wolfgang in einem unvorsichtigen Moment seine Handschuhe verliert. Wir können gerade noch registrieren wie sie über den Grat verschwinden. Zum Glück kann Wolfgang sich Handschuhe von Dagmar leihen, die ein zweites Paar dabei hat.
Gegen 11:15 Uhr erreichen wir den Gipfel. Hier machen wir für 40 Minuten Pause und genießen eine phantastische Aussicht auf die uns umgebende Gletscherwelt der Ötztaler Alpen im willkommenen Windschatten des Gipfelaufbaus der Wildspitze. In der Ferne kann man die Dolomiten erahnen, die Stubaier Alpen, die Ortlergruppe sowie die nördlichen Kalkalpen sind gut sehen.
Nach dieser Rast geht es nun über den Gipfelgrat hinab dem Mitterkarjoch entgegen. Das Mitterkarjoch, das wir noch 2003 bei Schneeauflage einfach hinabsteigen konnten, wurde mittlerweile aufgrund des Schneerückgangs mit Drahtseilversicherungen entschärft.  Hierdurch wurde das Kar, das in einigen Jahren auch schon mal unpassierbar war, wieder machbar.
In einer interessanten Kletterei, immer gesichert an den vorhandenen Drahtseilen, gelangen wir zum Fuße des Kars. Ab hier folgt ein leichter Weg über Schneefelder und Blockwerk zur Breslauer Hütte. Sie befindet sich im Eigentum der Sektion Breslau des deutschen Alpenvereins mit Sitz in Stuttgart. Sie liegt auf 2.844 Metern Höhe. Wir erreichen die Hütte gegen 13:45 Uhr. Bei Germknödel und Apfelstrudel, Cappuchino und Cola, verabschieden wir uns von Hubert.
Langtauferer Spitze, Fluchtkogel und heute nun die Wildspitze. Es waren wieder drei beeindruckende  und spannende Tage die wir ohne Bergführer so nicht hätten durchführen können. Ein herzliches Dankeschön an Hubert der immer bemüht ist, uns etwas Besonderes zu bieten.

Montag, 6.09.2010

Für heute haben wir den Vorderen Brochkogel geplant. Das Wetter zeigt sich heute wieder von seiner besten Seite und die aufsteigenden Nebel aus dem Tal bieten uns einen schönen und erhabenen Anblick. Wir verlassen die Breslauer Hütte gegen 9.15 Uhr und folgen dem Seufertweg unterhalb der Wildspitze bis zum Platteibach.
Nach einer Holzbrücke zweigt der Weg in Richtung Vorderer Brochkogel ab. Wir steigen wir auf der Seitenmoräne des ehemaligen Mitterkarferners bis auf ca. 3100 m Höhe. Es geht über stetig nachrutschendes Gestein in Richtung Gipfel. Beeindruckend ist immer wieder, wie sich die Pflanzenwelt auch unter diesen widrigen Bedingungen eine Nische zum Überleben findet.
Nach den Anstrengungen und den Erlebnissen der vergangenen Tage ist bei allen ein wenig die Luft raus. Als wir dann nach einigen Höhenmetern den Weg zum Gipfel des Vorderen Brochkogels verlieren, sind alle schnell bereit, einfach nur noch den Tag inmitten eines Schneefeldes zu genießen.
Wir machen sehr lange Pause, beobachten die dahin ziehenden Wolken und lassen einfach die Seele baumeln.

Dienstag, 07.09.10

Heute heißt es Abschied nehmen, nicht nur von den Bergen, sondern auch von den lieben Freunden. Wolfgang verabschieden wir nach dem Frühstück, er geht direkt ins Tal. Wir anderen schlagen noch den Weg über das 3.019 Meter hohe Wilde Mannle ein.
Zunächst müssen wir ein Stück hinab um dann schließlich den Aufstieg zu beginnen. Der Weg führt unterhalb des Rofenkarferners vorbei. War hier noch vor einiger Zeit das Kar mit Eis gefüllt, so schaut heute nur noch ein kleiner Rest des Gletschers über den Abbruch hervor. Von einer Seitenmoräne aus gelangen wir nun über Blockwerk zum letzten Aufschwung empor. Über eine seilversicherte Kletterstelle, dem Rofenkarsteig gelangen wir nach einigen Höhenmetern auf den Gipfelgrat. Nach ein und einer viertel Stunde erreichen wir gegen 9:15 Uhr den Gipfelaufbau des Wilden Mannles auf 3.019 Metern Höhe.
Hier oben weht eine eisiger Wind. So halten wir uns hier nicht allzu lange auf, denn auch die schöne Aussicht wird uns durch die tief hängenden Wolken verwehrt. So steigen wir schon nach kurzer Zeit auf der anderen Seite des Gipfels hinab. Über Wiesenhänge wanden wir in einer weiten Kehre in Richtung Tiefenbachferner und dann schließlich nach Vent hinab, wo wir den Kreis unserer Ötztaler Traumpfade in einem Café beenden.   
Es war auch in diesem Jahr wieder eine schöne und erlebnisreiche Tour. Einen herzlichen Dank an Gila für die Planung und Organisation und natürlich an alle Teilnehmer die die „Ötztaler Traumpfade“ haben Wirklichkeit werden lassen.